„Mord(s)geschichten – Lebenserfahrungen eines Gerichts-/Polizeipsychiaters“
Ein unvergesslicher Abend mit Gerichtsgutachter Dr. Reinhard HALLER
Norbert Schwendinger, der Leiter der Sektion Vorarlberg, war sichtlich erfreut und auch ein bisschen stolz, als er am 14.11.2017 im vollbesetzten J.J.Ender-Saal in Mäder den bekannten Psychiater und Gerichtsgutachter Univ.Prof.Prim. Dr. Reinhard HALLER begrüßen durfte. Immerhin waren ca 450 interessierte Vertreter von Polizei, Justiz, Bezirkshauptmannschaften und anderen Organisationen, aber auch Zivilpersonen der Einladung gefolgt. Die Besucher kamen aus ganz Vorarlberg, aus verschiedenen Bundesländern und aus dem grenznahen Ausland, um einen unvergesslichen Vortrag zu hören.
Dr. HALLER ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Er erstellte in seiner mehr als 35-jährigen Tätigkeit zahlreiche Gutachten in diversen Aufsehen erregenden Gerichtsverfahren und beurteilte die Zurechnungsfähig von verschiedensten Straftätern. Ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit von Dr. HALLER ist das Sucht-Krankenhaus Maria Ebene,dessen Leitung er seit dem Jahr 1983 innehat. Mit Ablauf des Jahres 2017 wird Dr. HALLER in den Ruhestand treten. Als Gutachter wird er aber weiterhin zur Verfügung stehen.
Am Beginn seiner Ausführungen lobte der Kriminalpsychologe die gute Arbeit und das hohe Niveau der Kriminalpolizei im Allgemeinen und speziell in Vorarlberg. Er führte aus, dass in den Kriminalfällen die Polizei die größte Arbeit zu erledigen habe. Als Gutachter könne er sich ins „fertig gemachte Bett“ legen. Der Täter sei bekannt und als Gutachter müsse er nur noch feststellen, ob der/die Beschuldigte „verrückt“, also zurechnungsfähig sei. Die zentrale Frage sei, ob der menschliche Wille frei sei.
Dr. Reinhard HALLER ist bekannt für seine grandiosen Vorträge, weshalb die Erwartungshaltung entsprechend hoch war. Ich denke, ich spreche für alle Anwesenden, wenn ich sage, dass unsere Erwartungen mehr als nur übertroffen wurden!
Eine zweite Aufgabe sei die Erstellung einer Zukunftsprognose. Eine solche Aussage könne nicht wirklich seriös getroffen werden, weil menschliches Verhalten nicht vorhergesagt werden könne. In diesem Zusammenhang zitierte er den Satz: „Prognosen sind sehr schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen!“, der dem dänischen Physiker Niels Bohr zugeschrieben wird.
Der Grundstein für seinen beruflichen Werdegang sei vermutlich bereits in seiner Kindheit gelegt worden. Er sei ein kleiner Bub gewesen, als in Vorarlberg ein Mord verübt worden und auf der Titelseite einer Tageszeitung ein Foto des Tatortes zu sehen gewesen sei. Es sei in seinem familiären Umfeld viel über diesen Mord gesprochen worden. Seine Mutter, die er als gütige Frau beschrieb, habe gesagt, dass ihr der Täter leid tue. Dies habe ihn veranlasst, über die Straftäter und ihre Psyche nachzudenken. Zum Gerichtsgutachter sei er eher durch Zufall, durch den damaligen Richter des Landesgerichts Feldkirch und nunmehrigen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, Dr. Eckart Ratz, gekommen.
Der Referent machte unter anderem einen Exkurs in die Welt der Krimis im Fernsehen und versuchte zu erklären, weshalb so viele Menschen wöchentlich„Tatort“ und vergleichbare Geschichten ansehen. Dazu führte er aus, dass von verschiedenen Verbrechen eine große Faszination ausgehe.
Dr. HALLER erklärte auch, dass in jedem Menschen Anteile von „Gut“ und„Böse“ vorhanden seien. Es gebe verschiedene Ursachen, Umstände und Auslöser die einen Menschen schließlich so weit bringen, dass er entsprechende Straftaten verübe. Über die Faktoren die dazu führen, ob ein Mensch kriminell wird, würde sich die Wissenschaft streiten.
Im weiteren Verlauf des Abends ging Dr. HALLER auf verschiedene Strafverfahren ein und erzählte aus seinen Kontakten und Gesprächen mit Beschuldigten.
So berichtete er aus dem Verfahren gegen den sadistischen Serienmörder Jack UNTERWEGER. Er schilderte aber auch, wie aus dem bestialischen Verbrecher ein Gutmensch gemacht worden sei.
UNTERWEGER sei wegen Mordes an einer jungen Frau in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der charmante Narzisst UNTERWEGER habe Menschen instrumentalisiert und es sei ihm gelungen, sich durch manipulatives Verhalten zur rechten Hand des Anstaltsleiters empor zu arbeiten. Während seiner Haftstrafe in der Justizanstalt Stein/NÖ habe UNTERWEGER lesen gelernt und zu schreiben begonnen.Er sei medial als „Häfenliterat“ gefeiert geworden. Unter anderem habe er insgesamt 48 Folgen der Kinder-Abendsendung „Das Traummännlein“ geschrieben. UNTERWEGER sei in den Medien hofiert worden und in verschiedenen Sendungen aufgetreten. Er sei insbesondere von vielen Frauen verehrt worden und habe zahllose Heiratsanträge bekommen. Unter anderem habe er während seiner Haft an nur einem Tag insgesamt 42 Briefe von Frauen erhalten.
Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung, die ohne psychologische Betreuung und ohne Bewährungshilfe erfolgt sei, seien innerhalb kurzer Zeit acht Prostituierte in Österreich ermordet worden. Der Gipfel der Perversion sei gewesen, dass Jack UNTERWEGER nach einem entsprechenden Mordfall als Reporter des Radiosenders Ö3 vom Tatort berichtet habe.
Danach sei er in die USA geflohen und habe dort weitere drei Frauen getötet. Er sei schließlich wieder nach Österreich ausgeliefert und für insgesamt elf Morde an Prostituierten angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
UNTERWEGER habe bereits im Vorfeld angekündigt, dass er sich im Falle einer Verurteilung an die weiteren Instanzen wenden werde. Tatsächlich habe er sich in der Nacht nach der Urteilsverkündung in seiner Zelle erhängt. Dr. HALLER erklärte, er habe den Eindruck gehabt, dass sich Jack UNTERWEGER nicht wirklich töten habe wollen. Vielmehr gehe er davon aus, UNTERWEGER habe einen Suizidversuch unternommen, um so im Berufungsverfahren bessere Karten zu haben. UNTERWEGER habe seinen Tod nicht geplant gehabt.
Großen Eindruck hatte das sogenannte „Bombenhirn“ Franz FUCHS auf Dr. HALLER gemacht. Der Sachverständige beschrieb Franz FUCHS als einen der gewieftesten und interessantesten Verbrecher mit dem er je zu tun gehabt habe.
Es sei nur der immensen Intelligenz von Franz FUCHS zuzuschreiben, dass dieser Mann als Einzeltäter die „Bajuwarische Befreiungsarmee (BBA)“ verkörpert und sämtliche Schritte der Straftaten als einzelner Mensch mit einer unvergleichbaren Präzision ausführen habe können.
So sei Franz FUCHS Historiker, Ideengeber, Computerspezialist, Elektroniker,Verfasser von Bekennerschreiber, Bombenbauer, Bombenleger, aber auch sein eigener Jäger, Anwalt und Vollstrecker des eigenen Todesurteils durch Suizid gewesen.
Selbst sein Suizid sei ein Geniestreich gewesen. Franz FUCHS habe darauf bestanden, dass er einen Elektrorasierer in seinen Haftraum bekomme, um sich selbst rasieren zu können. Dies trotz des Umstandes, dass ihm durch eine – selbst herbeigeführte – Explosion einer Bombe beide Arme abgerissen worden seien und er nur noch Stümpfe anstelle der Oberarme gehabt habe. Durch Beobachtung des Wachpersonals habe FUCHS errechnet, dass ihm eine Zeitspanne von ca zwanzig Minuten zur Verfügung stehen würde, um sich selbst zu töten. Dazu habe er den Tisch in seiner Zelle unter den Kasten der WC-Spülung geschoben, einen Stuhl darauf gestellt, das Stromkabel des Elektrorasierers um das Wasser-Zulaufrohr und um seinen Hals gelegt und sich hineinfallen lassen.
Er habe insgesamt 16 Tage und 8 Nächte lang mit Franz FUCHS gesprochen und ihn als gekränkten, mit Hass erfüllten Menschen kennen gelernt. FUCHS sei ein durch und durch intelligenter Mann gewesen, der durch Kränkungen und tödlichen Hass zum Verbrecher geworden sei.
Dr. Reinhard HALLER machte aber auch keinen Hehl daraus, dass er in seiner beruflichen Karriere auch Niederlagen erlebt habe. Unter anderem beschrieb er die Causa um den Psychiater Heinrich GROSS, welcher in der NS-Zeit grausame Verbrechen an Kindern verübt hatte. Als weiteres Beispiel nannte er die Beurteilung des sogenannten „Amokfahrers“ in Graz.
Zum Schluss wagte Dr. HALLER noch einen Blick in die Zukunft. Er führte aus, dass die Beurteilung menschlichen Verhaltens im Laufe der Geschichte großen Änderungen unterliege. So sei die Selbsttötung (Suizid) bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Todesstrafe bedroht und auch die Homosexualität unter Strafe gestellt gewesen.
Seiner Einschätzung nach werde die Anzahl der Beziehungstaten weitersteigen. Als Beispiel nannte er die große Zahl an solchen Taten, die in den letzten Monaten in Vorarlberg verübt worden seien. Des Weiteren führte er die Computerkriminalität (Cybercrime), aber auch Amok und Terror gegen Unschuldige ins Treffen.
Der Vortragende fesselte mit seinen brillanten, interessanten, mit Humor vorgetragenen „Geschichten“ einmal mehr die Zuhörer. Obwohl er beinahe zwei Stunden lang referierte und verschiedene Stationen seines Berufslebens skizzierte, hingen die Zuhörer förmlich an seinen Lippen und wunderten sich, dass die Zeit so schnell vergangen war. Besonders bemerkenswert ist, dass es Dr. HALLER glänzend versteht, ohne Powerpoint oder ähnlichen Hilfsmitteln das Publikum zu faszinieren.
Nachdem Dr. HALLER noch Fragen aus dem Publikum beantwortet hatte, überreichte ihm Norbert Schwendinger einen Geschenkskorb und bedankte sich nochmals für den erstklassigen Vortrag und für die jahrelange ausgezeichnete Zusammenarbeit von Dr. HALLER mit der Exekutive. Außerdem erhielt Dr. HALLER einen Kriminalroman aus der Feder unseres Tiroler Kollegen Dietmar Wachter als Präsent.
Der Reinerlös der Veranstaltung – insgesamt 1750,- Euro – kommt einem karitativen Zweck, nämlich dem Verein „Friends of ME“ (= Maria Ebene) zugute,der sich um Kinder von suchtkranken Menschen kümmert.
Dieser unvergessliche Abend fand schließlich bei persönlichen Gesprächen, der Kameradschaftspflege und einem Getränk seinen Ausklang.
Oswald Wachter
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